Artikel Luigi Monzo: Brutalismus

02.03.2018


Vorsicht Betonmonster? Architektur zwischen herber Schönheit und ästhetischem Vandalismus

Keine andere bauliche Äußerung hat in der langen Architekturgeschichte der Menschheit je so viele negative Beurteilungen erfahren wie der sogenannte Brutalismus. Als Betonmonster, Bunkerarchitektur und hässliche menschenverachtende Baubrutalitäten werden seine allgegenwärtigen Hinterlassenschaften heute gemeinhin als Verschandlungen der Dorf- und Stadtbilder wahrgenommen. Tatsächlich aber ist der Brutalismus die architektonische Antwort auf den Aufbruch der Nachkriegszeit, die mit ihrer beispiellosen Wiederaufbau- und Neubauleistung die durch den Fortschritt des Industriezeitalters verbesserten Lebensverhältnisse baulich umgesetzt hat.



Ermöglicht hat den weltweiten Siegeszug des Brutalismus die scheinbar uneingeschränkte und moralisch einwandfrei anmutende Ressourcenverfügbarkeit der Jahrzehnte zwischen Kriegsende und Ölkrise (1973). Die Erfordernisse des Wiederaufbaus und die Möglichkeiten des Wohlfahrtsstaates begünstigten seine Verbreitung, zum Beispiel durch breit aufgelegte soziale Wohnungsbauprogramme und Stadterweiterungen. Architektonisch verfolgte der Brutalismus den Anspruch einer herben Schönheit, meist in Verbindung mit roh belassenen Materialien wie Sichtbeton oder Ziegel. Durch freiliegende Installationen und zelebrierte Tragwerke sollte die Technikgläubigkeit der Zeit kompromisslos ausgedrückt werden.

Der Raum zwischen den Gebäuden wurde als Teil der Architektur gestaltet und für die Benutzung ausgelegt. Etwa bei vielen Schulen und Kulturbauten, für die mehrere Baukörper gruppiert und die Plätze dazwischen mit Sitzbänken oder Wasserspielen gestaltet wurden. Durch die Vielfalt seiner Aufgaben, seiner ausdrucksstarken Formensprache und die neuartige Definition eines gemeinschaftlichen Stadtraums hat der Brutalismus ein selbstbewusstes und originelles Bauerbe hinterlassen, das zwar mit hohem moralischem Anspruch die Gegenwart gestaltet hat, heute aber durch fehlendes Verständnis mehr denn je gefährdet ist. Man sollte daher genau hinschauen, was die Gebäude heute noch leisten können, und dann abwägen. Eine Stadt muss sich zwar entwickeln und verändern können, aber sie muss auch ihre Kleinodien schützen. Letztlich ist aber nur ein genutztes Denkmal ein gutes Denkmal.

Mit lange überfälligem Interesse widmet sich die Ausstellung ‚SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster‘ nun der Rehabilitierung oder zumindest der Schärfung des Bewusstseins für diese allgegenwärtige Architektur. Endlich, sollte man sagen, nimmt man sich einer Architektur an, die lange Zeit übelsten Verunglimpfungen ausgesetzt war (und es leider immer noch ist), aber mittlerweile ein eigenständiges Bauerbe darstellt. In einer Datenbank werden zudem Bauwerke weltweit registriert, um eine systematisierte Grundlage für den bedachten Umgang zu schaffen. Alle sind somit aufgerufen zu ihrer Vervollständigung beizutragen, schützenswerte Bauwerke zu erkennen und zu bewahren, um einen wichtigen Teil unserer Baukultur nicht für immer zu verlieren.

Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des von unserem Mitarbeiter Dr. Luigi Monzo am 27. Februar 2018 in der Pforzheimer Zeitung veröffentlichten Artikels Plädoyer für herbe Schönheiten.

Die Bilder zeigen das Hyatt Regency Hotel und das One Embarcadero Center in San Francisco, die in den Jahren 1971 bis 1973 von dem amerikanischen Architekten John C. Portman Jr. realisiert wurden.

Fotos: Dr. Alexander Beck

Ausstellung SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster! Erstmals wird die brutalistische Architektur der 1950er bis 1970er Jahre im weltweiten Überblick gezeigt. Im DAM wird der Brutalismus mit ungewöhnlich großen Modellen und Betongüssen neu bewertet. Zu sehen sind Gebäude aus Japan, Brasilien, dem ehemaligen Jugoslawien, Israel und Großbritannien, wo der New Brutalism von Alison und Peter Smithson erfunden wurde. Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung. Mit der Ausstellung verbunden ist die Online-Kampagne www.SOSBrutalism.org.

Besucherinfos Öffnungszeiten DAM (Deutsches Architekturmuseum) bis 2. April 2018 Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr, Mo geschlossen, zudem Führungen; Eintritt 9, erm. 4,50 Euro. Infos: www.dam-online.de. AzW (Architekturzentrum Wien) vom 03.05. bis 06.08.2018 täglich 10-19 Uhr, zudem Führungen; Eintritt 9, erm. 7 Euro. Infos: www.azw.at.



zurück